Immer unter Strom, immer unterwegs und überall zu spät
Element of Crime
Diese Liedzeilen einer meiner Lieblingsbands kreisen regelmäßig durch meinen Kopf, wenn ich von einem meiner zahlreichen Arbeitsplätze zum anderen fahre. Erst recht, wenn es wieder zum Outdoor-Painting zu einem Stromkasten am Straßenrand geht. Am Wochenende meist erträglich, unter der Woche häufig grenzwertig, wie schnell und laut der Autoverkehr an mir unter dem gleichen Motto immer unterwegs vorbeibrettert.
Je nachdem wie kreuzungsnah mein Objekt der Bemalung liegt, passiert es allerdings, dass durch die verringerte Geschwindigkeit und damit erhöhte Wahrscheinlichkeit, mich und/oder die farbige Gestaltung zu erkennen, die eine oder der andere die Hupe betätigt, was ich grundsätzlich als freundliche Zustimmung deuten möchte.
Sicher sein kann ich mir da bei den Radfahrerinnen und Fußgängern, die mich nicht nur durch ihre geringere Lärmbelästigung, sondern auch mit häufig euphorischen Kommentaren erfreuen. Freundliche Lügner mögen dabei sein, die eventuell meine Mühe allein anerkennenswert, aber meine Kunst gar nicht so doll finden, aber im großen Ganzen erfahre ich doch nirgendwo so viel ehrliche Anerkennung und pure Freude wie für diese »kleine Kunst« an der Straße. Die »Vogelhecken« zum Beispiel haben es meinen Mitbürgerinnen besonders angetan, und da sie in Laufweite der Schulen liegen, haben mir zahlreiche berucksackte Schüler bei der Bemalung über die Schulter geschaut und mich begeistert darüber informiert, welche Vögel sie schon kennen und vor allem er-kennen, was mich zu dem Schluss kommen ließ, dass ich eventuell doch ganz gut malen kann…
Tatsächlich würden mich in Zukunft noch mehr Camouflage-Motive reizen (siehe Bild unten), aber meine Auftraggeber dürfen gern bestellen, was sie möchten. Ich kann so ziemlich alles umsetzen, aber ich muss mir hinter die Ohren schreiben, demnächst vor den Entwürfen genau zu schauen, ob es sich nicht um einen dieser sch… geriffelten Kästen handelt – denn da sind feine Details eine echte Strafarbeit. Ich denke, meine zahlreichen Kolleginnen, die mit mir in Mission Dorf-, Land- und Stadtverschönerung immer unterwegs sind, werden mir da zustimmen. Es ist ohnehin nicht der bequemste Arbeitsplatz, da ein großer Teil der Malerei in der Hocke oder gar im Liegen ausgeführt werden muss, weshalb ich bei den Herstellern dieser Kästen ein dringendes Gesuch zur Produktion ausschließlich glatter Oberflächen einreichen möchte, damit wenigstens das leichter wird. Aber die Familie auf den Fahrrädern muss ich jetzt fertigstellen: Challenge accepted!
Alles in allem ist es der Mühen wert! Nicht nur, dass die ehemals grauen, schmutzigen Quader dauerhaft farbig strahlen – ich kann mir regelmäßig Streicheleinheiten abholen: von anerkennendem Hupen, spontanem In-die-Bremsen-Treten und Staunen, Bitten um Fotoerlaubnis und ultimativer Lobhudelei ist alles dabei und ich freue mich jedes einzelne Mal! Spaziergängerinnen oder andere Personen mit Zeit und Muße verweilen oft länger und es ergeben sich interessante Gespräche, bei denen auch oft die Grenzen zwischen Kunstgewerbe und großer Kunst Thema sind. Wie bei der Trennung zwischen E- und U-Musik, die von manchen als sehr deutsch wahrgenommen wird, scheint es auch in meiner Disziplin wichtig zu sein, nur das eine zu tun und das andere zu lassen, um ernst genommen zu werden. Einfach nur Freude machen ist offensichtlich zu wenig. Aber solange ich mich selbst ernst nehme, ist alles gut. Ich mache kleine Kunst, mittleres Kunstgewerbe, große Bilder, Kunst-Kunst, Illustrationen, Zufallskunst – oder gar Kunst, von der ich den Eindruck habe, dass sie nur wenige außer mir zu verstehen scheinen.
Die Zeit wird zeigen, ob etwas davon bleibt. Ich bin dann mal wieder unterwegs…
PS: Danke an dieser Stelle an den autofahrenden Passanten, der in glühender Hitze zurückkam, um mich mit einem Becher Eiscreme zu versorgen, als ich die Kästen mit Mauer, Eidechse und Katze gestaltete. Da ging mir das Herz auf und der Gaumen feierte mit!
