Femme fatale

Oder: Wer ist hier die verhängnisvolle Frau? An einem Donnerstag im Januar hatte ich Gelegenheit, allein und ausgiebig mir die so betitelte Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle anzusehen. (Das ist ja ohnehin mein Museum… aber dazu mehr in einem anderen Beitrag.)

FEMME FATALE leuchtet es mir zu Beginn des Rundgangs in einer aufdringlichen Typografie entgegen, die sich durch die ganze Schau zieht und mir etwas sagen soll. Kurioserweise besitze ich dafür – obwohl (oder gerade weil?) gelernte Grafikerin und studierte Illustratorin wohl nicht die richtigen Antennen, ich bekomme lediglich Augenweh.

Vermutlich als eine der letzten widerständigen analogen Besucherinnen nehme ich dann zum ersten Mal das Angebot der digitalen Vermittlung via Mobiltelefon wahr. Eigentlich nervt mich ich allein der Anblick des von Wand zu Wand mäandernden Publikums mit Handy am Ohr – ohne zusätzliche Kapazitäten der Wahrnehmung für die Menschen um sie herum, die zum regelmäßigen Ausweichen gezwungen werden. Bisher hatte ich auch nie das Gefühl, mir entginge etwas, wenn ich schauend und Schilder-lesend eine Ausstellung genieße, zumal ich selten ohne Gesprächspartner ins Museum gehe. Aber irgendwann wird es Zeit, mit der Zeit zu gehen, denke ich, und da ich allein unterwegs bin, lade mir die App der Hamburger Kunsthalle herunter, dank freiem WLAN ein Klacks.

Die professionell eingesprochenen Texte sind informativ, sagen mir aber nicht wesentlich mehr als die Saaltexte plus meiner Beobachtungsgabe gepaart mit jahrzehntelanger Kunst-Guck-Erfahrung. Bei ausgewählten Bildern nehme ich immer wieder Anlauf, in diese schöne neue Welt der Kunst einzutreten, aber auf Dauer wirkt die akustische Berieselung tatsächlich ermüdend, wofür ich nicht zwingend die Sprecherinnen verantwortlich machen möchte.

Die Krönung ist das Angebot, dass ich mit einer Femme Fatale chatten darf, wobei mir klar ist, dass ich mit Sicherheit nicht zur angepeilten Zielgruppe gehöre. Ausprobiert habe ich es natürlich, mit Dante Gabriel Rossettis »Helena von Troja«. Sie ist eine gute Bekannte von mir, bei der ich regelmäßig vorbeischaue, da sie zum ständigen Gemälde-Personal der Hamburger Kunsthalle zählt und wie einige Andere für die Sonderausstellung innerhalb des Hauses vorübergehend umgezogen ist. Die vorkonfigurierten Antworten sind zum Teil erschütternd banal. Vielleicht wird die Jugend damit »abgeholt«, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass Teenager sich damit lange aufhalten, weil das Spiel doch allzu durchschaubar ist und die »Nachrichten« sich auch schnell in Reihe wiederholen, egal, was man als Frage eingibt.

Ich fühle mich an eine andere Schau erinnert, »Eva und die Zukunft«, in der einige der nun ausgestellten Werke ebenfalls zu sehen waren. Diese Ausstellung von 1986 war breiter gefasst und zeigte nicht nur die »verhängnisvollen« Frauen, sondern widmete sich dem – zumeist männlichen – Blick auf die Weiblichkeit auf vielschichtigeren Ebenen und hat mich als angehende Künstlerin sehr berührt. Der spürbare Unterschied zu damals liegt zum Teil in mir, ich weiß – aber bei der Femme Fatale fühle ich mich von Beginn an unwohl bedrängt: Ich soll etwas fühlen, ich soll die Sensation und die Bedeutung erfassen, die schrillen Buchstaben sollen es mir in den Kopf hämmern, dass das hier eine ganz wichtige Schau ist.

Im Ernst: Das hätte auch so geklappt – auch ohne eine Medusa, die von sich chattend behauptet, sie sei früher »voll die Beauty« gewesen, ohne die aufmerksamkeitsheischende Typografie, ohne langatmige Erklärungen ins Ohr. Die Auswahl der Werke spricht eindrücklich für sich, und selbst wer wie ich in einen publikumsreichen Donnerstagabend hinein nur schwer Platz findet, vor den Werken zu verweilen und sie wirken zu lassen, geht beschenkt nach Hause.

Die wirklich verhängnisvolle Frau ist nicht die junge Mutter, die ihren Säugling fröhlich auf dem Boden krabbeln lässt, nicht die Schülerin, die ihrer Freundin leidenschaftlich auseinandersetzt, warum sie das Schlangenhaupt »voll krass« findet, sondern eher solche Gestalten wie die Dame, die einer Begleiterin lautstark berichtet, dass sie vom Herzinfarkt des Nachbarn ja gaaaar nichts mitbekommen hätte, weil sie ja in Urlaub gewesen sei und als sie dann nach Hause kam und… und… und… während ich in einem halben Meter Entfernung versuche, einen Text zu lesen. Oder die Frau, die vor Liebermanns Samson und Delila auf der Betrachter-Bank sitzt und am Handy auch für alle Umstehenden gut verständlich klärt, wann sie denn welche U-Bahn nach Hause nehmen und wer später das Abendessen zubereiten werde… Mensch, Mädels, das muss echt nicht sein!

Ich bin selbstverständlich froh, dass heute nicht mehr die andächtige Museumsstille gefordert wird wie es früher einmal war (da ich selbst regelmäßig von der Aura eines Kunstwerke geflasht ins Schwärmen gerate) aber ein bisschen Rücksicht fände ich dann doch schön. Ich bin doch selbst nicht etwa eine Femme fatale, wenn ich mir das wünsche?

Abb: »Stefanie mit Fuchsmaske«, © Alexandra Eicks 1986

Immer unter Strom

Immer unter Strom, immer unterwegs und überall zu spät

Element of Crime

Diese Liedzeilen einer meiner Lieblingsbands kreisen regelmäßig durch meinen Kopf, wenn ich von einem meiner zahlreichen Arbeitsplätze zum anderen fahre. Erst recht, wenn es wieder zum Outdoor-Painting zu einem Stromkasten am Straßenrand geht. Am Wochenende meist erträglich, unter der Woche häufig grenzwertig, wie schnell und laut der Autoverkehr an mir unter dem gleichen Motto immer unterwegs vorbeibrettert.

Je nachdem wie kreuzungsnah mein Objekt der Bemalung liegt, passiert es allerdings, dass durch die verringerte Geschwindigkeit und damit erhöhte Wahrscheinlichkeit, mich und/oder die farbige Gestaltung zu erkennen, die eine oder der andere die Hupe betätigt, was ich grundsätzlich als freundliche Zustimmung deuten möchte.

Sicher sein kann ich mir da bei den Radfahrerinnen und Fußgängern, die mich nicht nur durch ihre geringere Lärmbelästigung, sondern auch mit häufig euphorischen Kommentaren erfreuen. Freundliche Lügner mögen dabei sein, die eventuell meine Mühe allein anerkennenswert, aber meine Kunst gar nicht so doll finden, aber im großen Ganzen erfahre ich doch nirgendwo so viel ehrliche Anerkennung und pure Freude wie für diese »kleine Kunst« an der Straße. Die »Vogelhecken« zum Beispiel haben es meinen Mitbürgerinnen besonders angetan, und da sie in Laufweite der Schulen liegen, haben mir zahlreiche berucksackte Schüler bei der Bemalung über die Schulter geschaut und mich begeistert darüber informiert, welche Vögel sie schon kennen und vor allem er-kennen, was mich zu dem Schluss kommen ließ, dass ich eventuell doch ganz gut malen kann…

Tatsächlich würden mich in Zukunft noch mehr Camouflage-Motive reizen (siehe Bild unten), aber meine Auftraggeber dürfen gern bestellen, was sie möchten. Ich kann so ziemlich alles umsetzen, aber ich muss mir hinter die Ohren schreiben, demnächst vor den Entwürfen genau zu schauen, ob es sich nicht um einen dieser sch… geriffelten Kästen handelt – denn da sind feine Details eine echte Strafarbeit. Ich denke, meine zahlreichen Kolleginnen, die mit mir in Mission Dorf-, Land- und Stadtverschönerung  immer unterwegs sind, werden mir da zustimmen. Es ist ohnehin nicht der bequemste Arbeitsplatz, da ein großer Teil der Malerei in der Hocke oder gar im Liegen ausgeführt werden muss, weshalb ich bei den Herstellern dieser Kästen ein dringendes Gesuch zur Produktion ausschließlich glatter Oberflächen einreichen möchte, damit wenigstens das leichter wird. Aber die Familie auf den Fahrrädern muss ich jetzt fertigstellen: Challenge accepted!

Alles in allem ist es der Mühen wert! Nicht nur, dass die ehemals grauen, schmutzigen Quader dauerhaft farbig strahlen – ich kann mir regelmäßig Streicheleinheiten abholen: von anerkennendem Hupen, spontanem In-die-Bremsen-Treten und Staunen, Bitten um Fotoerlaubnis und ultimativer Lobhudelei ist alles dabei und ich freue mich jedes einzelne Mal! Spaziergängerinnen oder andere Personen mit Zeit und Muße verweilen oft länger und es ergeben sich interessante Gespräche, bei denen auch oft die Grenzen zwischen Kunstgewerbe und großer Kunst Thema sind. Wie bei der Trennung zwischen E- und U-Musik, die von manchen als sehr deutsch wahrgenommen wird, scheint es auch in meiner Disziplin wichtig zu sein, nur das eine zu tun und das andere zu lassen, um ernst genommen zu werden. Einfach nur Freude machen ist offensichtlich zu wenig. Aber solange ich mich selbst ernst nehme, ist alles gut. Ich mache kleine Kunst, mittleres Kunstgewerbe, große Bilder, Kunst-Kunst, Illustrationen, Zufallskunst – oder gar Kunst, von der ich den Eindruck habe, dass sie nur wenige außer mir zu verstehen scheinen.

Die Zeit wird zeigen, ob etwas davon bleibt. Ich bin dann mal wieder unterwegs…

PS: Danke an dieser Stelle an den autofahrenden Passanten, der in glühender Hitze zurückkam, um mich mit einem Becher Eiscreme zu versorgen, als ich die Kästen mit Mauer, Eidechse und Katze gestaltete. Da ging mir das Herz auf und der Gaumen feierte mit!

Vorsatzpapier

Der Jahresbeginn scheint mir der passende Zeitpunkt, einmal das Vorsatzpapier zu würdigen. Es einfach nur weiß zu lassen ist für mich eine fragwürdige Entscheidung. Oder ist dem häufig etwa gar kein Denkprozess vorausgegangen? Weiß als schieres Ergebnis der Vernachlässigung und Nicht-Würdigung eines wirkungsvollen Gestaltungsmittels?

Zusätzlich zur wichtigen Funktion, Verbindung zu schaffen kann das Vorsatzpapier dem hoffentlich gespannten Lesepublikum einen Einstieg in die Lektüre bieten, neugierig machen und einstimmen auf die Geschichte, den Sachverhalt oder andere wohlgewählte Worte. Wenigstens eine warme, irisierende, irritierende Farbe könnte als erster Anreiz die Synapsen zum Klingen bringen? (Ja, vorerst geht es hier um die Kunst der Buchgestaltung!)

Auf dem Papier für die guten Vorsätze für das neue Jahr könnte also auch stehen, beim Aufschlagen des nächsten Buches das Vorsatzpapier bewusst in Augenschein zu nehmen. In der Psychologie spricht man von Priming, wenn subtil unser Denken oder Handeln beeinflusst werden sollen – etwas Ähnliches könnte die Buchgestalterin also auch beim Design des Vorsatzpapiers gezielt einkalkulieren und nutzen. Im Gegensatz zum Erwachsenen-Buchmarkt wird interessanterweise im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur – gerade bei den Bilderbüchern – das Papier zwischen Buchdeckel und Buchblock quasi selbstverständlich zur Spielwiese der Designerinnen und Illustratoren. Da werden spaßige Ornamente aus einem Schweinebrüderpaar gebildet, spazieren Nildpferdbabyfußabdrücke über die Seiten oder es werden gar schon die Protagonisten der Handlung in verschiedenen Posen vorgestellt.

Zu meinen beeindruckenden Erstleserinnen-Erfahrungen in punkto Vorsatzpapier zählt ein 1958 veröffentlichtes Disney-Bilderbuch über das Eichhörnchen Perri, dessen Einstieg eine Landkarte mit allen beschrifteten Orten der Handlung zeigt. Ich erinnere mich, wie ich im Kinderzimmer auf dem Bauch liegend (das Buch hatte nahezu DIN A 3-Format) die Karte studierte und fasziniert die unversehrten Bäume betrachtete, die im Verlauf der Geschichte einem Brand zum Opfer fallen sollten, und mich jeden Mal das Grausen packte – auch wenn das Happy End (ja, DISNEY… gekillt wird zu Beginn!) vorausgesetzt werden konnte. Diese Vorsatz-Karte half mir auch beim Einordnen: wo der Kampf mit dem Marder stattfand, die Eule wohnte oder wo der hohle Baumstumpf zu verorten war.

Das Vorsatzpapier ist der ideale Platz, um gestalterisch Dinge mit Sonderstatus zu platzieren, die den Verlauf der Handlung unschön stören würden, aber nützliche Informationen bieten. Nicht für wenige umfangreiche Romane habe ich mir schon eine Liste der handelnden Personen oder einen Zeitstrahl gewünscht!

Tatsächlich finden sich in vielen Jugend- oder Fantasy-Romanen ähnlich wie bei »Perris Abenteuer« Landkarten an dieser Stelle, wobei allerdings für die Welt von Mittelerde definitiv mehr Platz benötigt wurde und in Tolkiens »Herr der Ringe« folglich ausfaltbare Landkarten eingeklebt werden mussten. Aber bei den meisten Romanen, Erzählungen oder Sachbüchern, die durch meine Hände gehen, finde ich ernüchtert ein gestalterisches Vakuum vor.

Also zurück oder voran zum Beginn des neuen Jahres: Als ausgewiesene Freundin von Listen konserviere ich eine nicht-papierne, ewig-gültige Version des Vorsatzpapiers irgendwo in meinem Hinterkopf, und die Punkte auf dieser virtuellen Liste sind wirklich seit Jahrzehnten dieselben. Auf den ersten Plätzen in wechselnder Reihenfolge: Mehr Gesundheitsvorsorge (Sport, Ernährung, Ihr wisst schon!), noch mehr Kunst (machen & gucken), mehr Kommunikation und Zusammensein mit lieben Menschen. Ich kann mich häufig nur auf eines fokussieren, aber immer in allem besser werden. Für das jetzt anbrechende Jahr nehme ich mir erneut vor, stark und aufrecht stehen zu bleiben, wenn die Wellen des Arbeitsalltags anrollen. Vielleicht kann ich es 2023 endlich mal vermeiden, allzu viel (Wasser) zu schlucken.

PS: Einer der beständigen Punkte auf der Kopf-Liste, seit ich eine Website besitze: Blog füllen. Das geht ja gut los!

Abbildung: © Delphin Verlag Zürich und Stuttgart 1959, »Perris Abenteuer« von Felix Salten/WaltDisney

Krokodil mit Rüschen

»Immer ist etwas.«

Merkt Euch diese drei Worte, sie stammen aus meinem Lieblingszitat von Kurt Tucholsky, auf das ich an einem anderen Tag zurückkommen werde.

Aber heute passen sie halt auch. Wenn ich 1994, als ich nebenstehende Illustration anfertigte, gewusst hätte: Von einem kleinen Babymädchen und den damit verbundenen Haushaltspflichten von der Kunst abgehalten zu werden, ist die bestmögliche Alternative und ein nahezu glückseliger Zustand! Was ist es dann aber heute?

Im Wesentlichen bin ich es selbst, denn zu viele Interessen wollen unter einen Hut gebracht werden. Und dieser Hut klemmt wahlweise allzu stramm auf dem Lockenkopf oder rutscht, mal schwitze ich drunter und mal schützt er nicht genug vor dem »Draußen«. Ein Krokodilspanzer wäre da zeitweise nicht schlecht, und auch die Zähne nähme ich gern als Gratiszugabe, um die Anliegen wegzubeißen, zu denen ich mich bis heute nicht NEIN zu sagen traue.

Allerdings bezieht sich das Kostüm, das ich auf diesem Bild trage, auf eine Begebenheit aus meiner Studienzeit mit Kleinkind. Meine Tochter nahm sich schon früh ein Vorbild an ihrer Mama und die Farbstifte in die Hand – und verzierte damit kurzerhand ein von mir skizziertes Krokodil für eine Bildergeschichte mit einer schnörkeligen Liniengirlande um den Kopf, um es ein wenig freundlicher zu machen. Keine schlechte Methode, um den Dingen ihren Schrecken zu nehmen.

Kaltstart, Kunst & Krise

Wär ich doch noch im Winterschlaf…

Ich fange jetzt einfach mal an, ohne Aufwärmphase, Test oder Vor-Schreiben.

Wir erleben seltsam bedrückende Zeiten, nach zwei Jahren der Pandemie rückt plötzlich der Krieg mehr denn je in unser Bewusstsein und stellt so manches Wertesystem in Frage, so auch meins.

Wie viel ist Kunst noch wert, wie wichtig darf ich meine künstlerischen Ambitionen noch nehmen, wenn anderswo, im Übrigen immer, Menschen ums Überleben kämpfen? Vielleicht finde ich keine Antwort, aber vielleicht sollte ich einfach mal damit anfangen, mehr Fragen zu stellen – auch mit diesem Blog.