Caspar David… ist nich‘!

»In jedem Bild gibt es einen leuchtenden Punkt. Der muss allein bleiben.«

Caspar David Friedrich (1774-1840)

Tja, das hab ich nun davon: Auch wenn die leuchtenden Punkte in Friedrichs Bildern derzeit definitiv nicht allein bleiben – in dieser Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle bleiben sie zumindest ohne mich!

Der Run auf die Eintrittskarten hat dazu geführt, dass alle Zeitfenster- und sonstige Tickets – auch in Kombination mit Michel-Besuch oder als Reise bei der Deutschen Bahn – komplett ausverkauft sind bis zum Ende der Ausstellungsdauer. Auf »Kleinanzeigen« (früher mit dem Präfix »ebay« versehen) ist der herausragende Punkt im Inserate-Eismeer unangefochten das Angebot, auch Karten tauschen zu können – gegen einen Auftritt Peter Wohllebens oder die Heimspiele von Werder Bremen! Ich bin mir unsicher, ob die Schnittmenge dieser Interessen breite Bevölkerungsschichten betrifft – aber man sollte nichts unversucht lassen auf dem Weg zum Kunstgenuss, den man gesehen haben muss!

Beispiel: Ich habe als Erwachsene sehr gern die Harry Potter-Bücher gelesen, auch im Original… aber: Spät! Sehr spät, später als alle anderen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis, weil bei jedem Hype um egal-was bei mir nicht nur Alarmglocken klingeln, sondern sich zwischen mir und dem Must-have der Saison direkt eine gläserne Wand aufstellt. Küchenpsychologisch stufe ich diesen Reflex als Rudiment meiner teils kargen Kindheit ein. Kurz gehalten an Geldern und Gelegenheiten habe ich routinemäßig alles für blöd erklärt, was meine Klassenkameraden an (von mir heimlich ersehnten) Gütern offen zur Schau stellen konnten, vom eigenen Kassettenrecorder über Fahrräder bis hin zur angesagten Jeans mit weißem Paspelstreifen an der Seitennaht. Wenn ich so eine gehabt hätte, hätte mich das glatt über den Mangel an Ferienreisen oder Friseurbesuchen statt Schnitt von Mutti hinweggetröstet. Aber ich nehme hier schon wieder die falsche Kurve…

Ich habe mit den Jahren eine ausgeprägte Mainstream-Ausstellungsallergie entwickelt, weshalb ich zu eher absurden Zeiten derartige Events besuche, weil meine Neugier auf Kunst ja trotzdem besteht und es seltsam wäre, mich davon beeinträchtigen zu lassen, dass mehr Menschen das auch mögen. Aber diesmal war ich nicht schnell genug, da die »Kunst für eine neue Zeit« nicht ganz oben auf meiner Prioritätenliste stand. Nun fuchst es mich aber doch, dass ich draußen vor der Tür bin. Ich hätte »meine« Friedrichs, die ich regelmäßig in der Hamburger Kunsthalle besuche – Das Eismeer und Der Wanderer über dem Nebelmeer gern in größerem Zusammenhang gesehen. Es sind zwar nicht die einzigen Gemälde von seiner Hand, die zur ständigen Sammlung in Hamburg zählen, für mich aber die wichtigsten, schönsten, die ich tatsächlich jedes Mal aufsuche, wenn ich vor Ort bin. Vielleicht auch, weil ich sie von Jugend an studierte, im Wortsinne, mit Zeichenblock und Bleistift als Schülerin, mit Skizzenbuch und Graphit (!) als Studentin, Komposition nachspürend, Hell-Dunkel-Kontraste ermittelnd, voller Bewunderung für Lasuren, Farben und Maltechnik.

Aber: Es bleiben immerhin noch Dresden und Berlin, die einen Großteil der Gemälde ebenfalls noch in diesem Jahr zeigen werden. Ob es dort auch so voll werden wird? Denn selbst wenn man sich zu den vom Glück begünstigten Eintrittskartenbesitzerinnen zählen kann: Ein Durchdringen zu den Werken ist wohl schwierig bis unmöglich, allein vor einem Gemälde zu stehen gar undenkbar. Auf einschlägigen Bewertungsportalen und in sozialen Medien hagelt es gepfefferte Kritiken, von klaustrophobischen Anfällen bis zu olfaktorischer Belästigung wird den Besuchern offensichtlich alles geboten. Letztere Beeinträchtigungen sind beim inzwischen online zu absolvierenden 360°-Rundgang ausgeschlossen, und es sind keine Menschen zu sehen außer den in Gemälden und Zeichnungen dargestellten, herrlich! Außerdem verschafft die Kunsthalle mir zusätzlich das gute Gefühl, doch »dabei« zu sein, denn auch mein virtuelles Ticket heißt genau so und muss unter Angabe von Name und vollständiger Adresse gebucht und mit 0,00 € bezahlt werden. (Spenden hätte ich allerdings dürfen, die Freiheit wurde mir gelassen.)

Allein: es ist dann eben doch nicht das selbe, ich bin eine hoffnungslos analoge Person! Es ist wirklich toll gemacht, ich kann jedes einzelne Gemälde heranzoomen, Texte vergrößern, die Räumlichkeiten erkunden, Laufwege inklusive der Hängung nachvollziehen, alles prima im Prinzip. Doch schon während meines Studiums hat mich Walter Benjamins Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit sehr beschäftigt, und der Begriff der Aura eines Originals hängt mir seitdem immer nach. Vor Paul Klees Aquarellkasten z. B. ging ich schon beinahe in die Knie, da musste es noch nicht mal ein Kunstwerk sein! Die unmittelbare Nähe, die ich spüre, wenn ich vor einem Kunstobjekt stehe, mit dem Ding im gleichen Raum, mit einem Abstand, den die Schöpferin des Werks, der Urheber selbst gehabt haben mag – das berührt mich immer wieder. Pinselduktus, Beschaffenheit der Farbe und vieles mehr vermitteln sich zudem nie auf dem Bildschirm so wie mit der Nase so nah an der Leinwand, wie es die Museumsaufsicht erlaubt.

Traurig bin ich wirklich über jede Person, die sich durch die Friedrich-Ausstellung mühsam und gezwungermaßen schleppt, »weil man ja mal was in Kultur machen« muss, weil die Gruppenreise nun mal gebucht war, weil man mit der Partnerin den Deal gemacht hat: »Ich geh mit Dir zu Caspar David Friedrich, dafür kommst Du aber danach mit auf den Hamburger Dom!« Eh‘ Ihr sowas macht: Her mit dem Ticket zu mir!

Meine Hommage an den »Wanderer« habe ich übrigens in meinem Schlagzeilen-Projekt unterbringen können: Im Artikel ging es um einen Motorrad-Test im Gebirge – und ich musste nur eine Kleinigkeit hinzufügen, damit der Herr der Headline gerecht wird.


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