Von Kunst leben

»DER PRINZ. Guten Morgen, Conti. Wie leben Sie? Was macht die Kunst?

CONTI. Prinz, die Kunst geht nach Brot.«

Gotthold Ephraim Lessing »Emilia Galotti«

Beim Aufräumen stieß ich auf eine Arbeit aus meiner Ausbildungszeit. »Schummern« übte ich mit dem Abzeichnen eines Fotos der »Kleinen Meerjungfrau« in Kopenhagen. Selbstredend ist es keine Kunst, sondern lediglich eine handwerkliche Technik, den Graphitstift in kreisenden Bewegungen so übers Papier gleiten zu lassen, dass nach und nach der Eindruck von Dreidimensionalität entsteht.  

Weil das allerdings der Neunzehnjährigen aus ihrer Sicht ganz ansprechend gelungen war, rahmten meine Eltern das Blatt ein. Nachdem ich im Laufe der Jahre meine Fähigkeiten ausbaute, landete diese Fingerübung irgendwann im Keller, wo ich sie jetzt in verändertem Zustand fand. Das Papier war an mehreren Stellen gründlich zerfressen. Ich habe keine Ahnung, was sich da durchs Blatt genagt hat, der Zahn der Zeit (denn die kleine Raupe Nimmersatt wird’s nicht gewesen sein)? Angesichts der vielen kleinen Löchlein machte ich aber doch eine Art Insekt verantwortlich – und ein solidarisches Mitgefühl mit dem kleinen Ding flammte in meinem Herzen auf, versuchte es doch genau wie ich von der Kunst zu leben.

Während der anonyme Papierfresser sich allerdings auf sehr direktem Wege den Bauch vollschlagen konnte, muss ich von je her erst eine magische Wandlung von Mixed-Media-Werken auf variablem Bildträger ins Medium Geld vollziehen. Ich wünschte, ich würde mich an das erste Mal, an meinen ersten Verkauf erinnern! Kleine, eher banale Zeichnungen habe ich schon zu Schulzeiten verkauft, an Freunde oder Kollegen meiner Eltern… in meinen Teenager-Augen wagemutig: ohne eine Rechnung zu stellen, mich hochstaplerisch fühlend gepaart mit diffuser Angst vor dem Finanzamt. Hui, wenn das von meinen dunklen Machenschaften Wind bekäme!

Als Nebenbei-Verdienst ist Kunst-Verkauf sehr angenehm – aber es braucht Chuzpe, seinen kompletten Lebensunterhalt mit und von der Kunst bestreiten zu wollen. Das war mir bei der Berufswahl bewusst, aber mit gespitzten Stiften und geschulterten Pinseln fühlte ich mich dem fröhlich gewachsen. Wie oft ich im Laufe der Jahre geflucht habe? Ungezählt! Wieviele Umschulungen ich erwogen habe? Reichlich! Wie wertvoll mir hingegen die Freude meiner Auftraggeber und Malschüler ist? Unbezahlbar! Was mir das Malen und Zeichnen bedeutet? Mein Leben!

Es ist nur ein paar Wochen her, dass wieder einmal jemand im direkten Gespräch mit mir meinte, sich über das Niveau von Volkshochschulkursen lustig machen zu müssen – und wohl für einen Moment vergessen hatte, dass auch das einer meiner bezahlten Jobs ist. Für mich ist diese Lehrtätigkeit viel mehr als das. Es ist eine wundervolle Aufgabe, andere Menschen bei ihrer künstlerischen Entwicklung zu unterstützen. Meine Strichliste der Leute, die in der Vorstellungsrunde angeben, sie hätten soooo gern beruflich etwas im Bereich der bildenden Kunst gemacht, sich aber nicht getraut, das elterliche Verbot zu ignorieren, wird länger und länger.  

Viele meiner Kolleginnen, deren Erzeugnisse ganz eindeutig die Bezeichnung Kunst verdienen, gehen wie ich selbst nebenbei Brotjobs nach. So herum ist es richtig: Sie machen nicht die Kunst nebenbei, aber diese ernährt sie leider nicht. Bei mir selbst sind die Grenzen fließend: Vom gewerblich angewandten Grafikdesign über illustrative Arbeiten hin zu künstlerischen Zeichnungen, freien Gemälden und sehr schrägen Ideen, die die Öffentlichkeit noch gar nicht registriert hat. Kunst und Kunstgewerbe in Personalunion zu verfolgen war immer eine zwielichtige Sache nahe am kriminellen Milieu in den Augen der Puristen, aber glücklicherweise verschwimmen die Grenzen immer mehr. Presse bekommen wir Künstler trotzdem nach wie vor bevorzugt dann, wenn wir einen Teil unserer Erlöse karitativen Zwecken zuführen. Für seine »Leidenschaft« auch noch bezahlt werden zu wollen ist doch geradezu unverschämt!   

In einer wahllos zusammengestellten Abendgesellschaft bekommt wirklich keine andere Berufsgruppe mehrfach oder überhaupt diese Fragenkombination zu hören: erst das smalltalkende: »Was machst Du beruflich?« gefolgt von einem vertraulich-geraunten: »Und, kannst Du davon leben?« Meine dankbare Antwort lautet stets, dass ich durchaus ohne meinen Mann davon leben können würde, aber nicht so gut wie mit ihm (und ersteres würde ich aus diversen Gründen, die uns hier nicht interessieren sollen, ohnehin nicht wollen).

Ich weiß nicht, wer’s zuerst gesagt hat, aber wenn Ihr es könnt: Support your local artist! Der Bekanntheitsgrad sagt wenig bis gar nichts über die Qualität der Kunst aus, denn gerade auf dem Kunstmarkt gilt die Devise: Gehört wird, wer am lautesten schreit. Ich kenne so viele liebenswerte, begabte, kreative und hochaktive Künstler, die mir auf diversen Ausstellungen, die wir miteinander bestritten haben, begegnet sind. Sie verdienen jede mögliche Unterstützung. Kauft nicht Namen (womöglich noch als Druck aus dem schwedischen Möbelhaus): kauft Kunst, die Euch gefällt – oder gebt mal einen Auftrag für etwas Individuelles, Noch-nie-Dagewesenes! Das macht einige mehr Künstler glücklich und vielleicht auch satt. By the way: Auch viele vermeintliche No-oder Low-Name-Künstlerinnen bieten ihre Arbeiten inzwischen als Prints an, im Bewusstsein, dass Originale nicht für jeden erschwinglich sind.

An der rechten Seite des Bilderrahmens habe ich übrigens eine kleine vertrocknete Larve (? Biologen vor!) entdeckt. Vom Zeitpunkt, als sie zwischen Glas und Rahmen geriet bis zu ihrem Tod hat sie nach meiner Einschätzung ganz vorzüglich von der Kunst leben können, sie ist auch richtig rumgekommen! Zumindest möchte ich mir das ganz gern einreden – trotzdem es zum frei fliegenden Falter bis zum Lebensende doch nicht mehr gereicht hat.


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