Künstlerische Intelligenz

»Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern Kunst macht sichtbar.« 

Paul Klee (1879-1940)

KI bestimmt nicht nur einen großen Teil des Diskurses im Hinblick auf Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung – auch im Feuilleton (heißt das Online auch noch so?) wird ihre Relevanz oder der Einfluss, das Pro und Contra kontrovers diskutiert.

Wir Künstlerinnen kommen ebenfalls nicht dran vorbei: Die KI kriecht, strömt und drückt immer mehr in unseren Arbeitsbereich hinein, egal in welcher Disziplin wir tätig sind. Zugegeben: Ich schreibe hier wie die Blinde von der Farbe – was es inzwischen an technischen Möglichkeiten gibt, übersteigt schon lange das Fassungsvermögen meines kleinen analogen Hirns. Reißbrett und -schiene, Rapidographen, Markerstifte, Chromoluxkarton und Fotosatzpapier waren die Werkzeuge meiner Ausbildung. Das anschließende Studium eröffnete zu meiner Freude einen schier grenzenlosen Kosmos an Werkstoffen zum Experimentieren: Zähe, dicke und schnellfließende Farben, weiche und widerborstige Pinsel, geschmeidige Kreiden und eigensinnig hörbare Rohrfedern, Tinten und Tuschen, glänzendes Graphit und staubige Kohle. Wenn jemand im Atelier mit Ölfarben zugange war, brauchte man Atemschutz und die Malerei mit Eitempera musste ich im dritten Semester drangeben, weil ich wegen einer glücklich ungeplanten Schwangerschaft den Geruch nicht mehr vertrug. Zusammenfassendes Motto dieser Jahre: »Gib Stoff!«

Das alles brauchen die Künstlerinnen nicht mehr, die im schon beeindruckend schnell fahrenden KI-Zug sitzen. Ihr Stoff riecht nicht, fließt nicht, ist »irgendwie vorhanden« und vor allem: von anderen hergestellt und war damit im Sinne Paul Klees vorab schon sichtbar.

Ich habe (natürlich!) sowohl ein frei zugängliches Bilderzeugungsprogramm getestet als auch die neue Photoshop-Funktion »Generative Füllung« mit einem Familienfoto durchgespielt. Erschütternd! Ich habe meiner Mutter einen Vollbart verpasst, der absolut wie gewachsen aussieht. Zusammen mit einer Schürze, die von der KI sogar unter dem Kragen ihrer Bluse platziert wurde, sieht sie aus wie ein freundlicher Handwerker. Lustig. Aber ist es mehr als das? Und wäre das, mit ein bisschen mehr Zeitaufwand, mit anderen Begriffen, in anderen Kombinationen, KUNST*? Nein, würde Paul Klee sagen weil es nichts wirklich sichtbar macht, sondern lediglich neu kombiniert. Ja, sagt unbefangen der Kunstmarkt. Die Künstler, die frühzeitig von KI generierte Bilder als Fineart-Prints hergestellt oder in Öl abgemalt haben, erzielen dank wunderbar formulierter Konzepte hohe Preise. Aber stellt das auch einen Wert dar?

Seit Jahren schwirren die irren Gedanken in meinem Kopf herum – aber nun hatte ich einen konkreten Anlass, meine Überlegungen zu teilen: Zu Weihnachten erreichte mich, die ich immer auch mein Geld mit illustrativen Arbeiten verdiene, ein Online-Gruß mit KI-generiertem idyllischen Weihnachtsmotiv. Nicht nur, dass die Grüßenden vor Begeisterung sprühten über dieses im Handumdrehen nach einer Weihnachtsgeschichte »gezauberte« Bild – es wurde ausdrücklich dazu aufgefordert, es gleichzutun und der Link gleich mitgeschickt. Das brachte mich dann doch arg ins Grübeln, wie kurz ich eigentlich vor der Arbeitslosigkeit stehe.

Keinesfalls möchte ich eine Person angreifen oder in Misskredit bringen: Ich kann das Staunen durchaus verstehen – aber auf der anderen Seite absolut nicht. Hier war kein Herz am Werk, keine Imagination, keine Absicht und kein künstlerisches Vorstellungsvermögen. Einsen und Nullen, Bits und Bytes im buchstäblichen Gleichstrom und abrufbare Bilder, die irgendwann mal ein hart arbeitender Designer, eine am Rande des Existenzminimums krebsende Illustratorin, ein kreativer Fotograf oder (ja, auch das!) eine renommierte, erfolgreiche Künstlerin kreiert hat.

Ist es das, was wir wollen? Abrufen, Tasten betätigen, in Windeseile immer mehr und mehr Bilder erzeugen? Was ist mit dem künstlerischen Prozess? Was mit dem Wert eines wirklichen Konzepts, der Fähigkeit eines denkenden Menschen, Ideen zu ersinnen und in einem Werk umzusetzen?

Ich habe offensichtlich mehr Fragen als Antworten im Moment. Die Entwicklung wird rasant weitergehen und ich bin ein wenig unruhig, wo das alles noch hinführt. Zum Verlangsamen des Gedankenkarussells gehe ich mal einen Keilrahmen bespannen – notfalls hilft auch, mit beherztem Schwung Farbe auf die Leinwand zu werfen. Der körperliche Aspekt des Kunst-Werk-Erzeugens kommt nämlich noch dazu: tut häufig ganz schön gut und ist kein Vergleich zum Knöpfchen-Drücken im Sitzen.

(*An der Definition des Kunstbegriffs scheitern und scheiden sich eh die Geister – meine Materialsammlung dazu ist so umfangreich, dass es dazu einen weiteren Beitrag braucht.)


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